Russland hat die Nase vorn — RT DE

Russland hat die Nase vorn — RT DE


Ein Kommentar von Rüdiger Rauls

Reden hilft nicht immer

Westliche Politiker geben sich in Moskau die Klinke in die Hand, und kaum hat man im Kreml den Telefonhörer aufgelegt, wird schon das nächste Gespräch aus einer westlichen Hauptstadt durchgestellt. Wenn auch die russische Führung Garantien für die eigene Sicherheit fordert, so tritt sie im aktuellen Geschehen nicht als Bittsteller auf. Das scheint eher die Rolle der Europäer und auch der USA zu sein, die um Gesprächstermine nachsuchen. Allein daraus wird deutlich, wo die Kraftzentren der Welt heute liegen, in Russland und China.

Russland hat Invasionsabsichten immer wieder eine Absage erteilt, und trotzdem befeuern besonders anglo-amerikanische Politiker und vor allem die Medien die Kriegshysterie im Westen. Letztere versuchen ihr Geschäft zu machen mit der Angst der Menschen vor dem Krieg.

Dazwischen versucht die Ukraine, die Kriegshysterie für die eigenen Interessen zu nutzen, ist aber gleichzeitig auch bemüht, die Krise nicht so weit hochkochen zu lassen, dass dadurch die eigene Wirtschaft und ihre Stellung an den Finanzmärkten in Gefahr gerät. Vor allem will man die eigene Bevölkerung nicht zu sehr in Panik versetzen, um nicht auch noch innenpolitisch unter Druck zu geraten.

Deren Stimmung scheint auffallend ruhig zu sein. Eine starke Minderheit in der Ukraine sieht Russland nicht als Feind an und kann sich einen russischen Angriff nicht vorstellen. Insgesamt aber ist es schwierig, die Lage in der ukrainischen Gesellschaft realistisch einzuschätzen, da die westlichen Medien darüber so gut wie gar nicht berichten.

Zudem scheint sich dieser Konflikt immer mehr in die intellektuellen Blasen der westlichen Gesellschaften zu verlagern. Für die einfachen Menschen, die tagtäglich mit der Bewältigung ihres Alltags beschäftigt sind, wird die Lage immer undurchsichtiger. Die ständig wiederholten Invasionsankündigungen verlieren ihre Bedrohlichkeit, je öfter sie nach hinten verschoben werden. Aber zum Ärger der anglo-amerikanischen Marktschreier marschieren die Russen nicht ein.

So rennen die Amerikaner mit ihrem altbekannten “Try harder” weiter mit dem Kopf gegen die Wand, die einfach nicht nachgeben will. Einen anderen Weg zum Ziel scheinen sie nicht zu kennen. Die Verunsicherung im westlichen Lager wächst, und da ihnen die Zeit davonzurennen scheint, dreht man weiter an der Eskalationsschraube. Aber was will der Westen mit seinen Maßnahmen erreichen? Was ist sein Ziel? Wo soll das hinführen?

Auf eine kurze Formel gebracht: Alles soll so bleiben, wie es ist. Das heißt aus Sicht der NATO: Wir wollen uns weiterhin keine Einschränkungen bei unserer Osterweiterung auferlegen lassen. Wir wollen weiterhin, dass die Russen sich nach unseren Interessen richten und nicht nach ihren eigenen. Und schon gar nicht wollen wir zurück auf die Ausgangslage von 1997.

Das bedeutet aber auch, dass man den Wandel in der Welt nicht wahrhaben will. Man will, dass alles beim Alten bleibt. Aber mit dieser Haltung nimmt man auch nicht an der Gestaltung der Zukunft in einer sich verändernden Welt teil. Der Westen versucht, das Heraufziehen einer neuen Zeit zu blockieren.

Diese zeichnet sich ab im Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Führungsmacht und dem Wiederaufstieg Russlands zur politisch-militärischen Weltmacht. Zudem schließen sich die vom Westen sanktionierten Länder immer mehr um diesen russisch-chinesischen Block zusammen. Die Welt entgleitet dem westlichen Zugriff. Und alles, was der Westen dagegen unternimmt, verändert die Lage zu seinen Ungunsten.

Nach der Niederlage im Krieg gegen den Terror mit der Flucht der NATO-Einheiten aus Afghanistan wollen die USA mit ihren Angriffen gegen China und Russland Stärke demonstrieren. Die bitteren Misserfolge gegen keinesfalls ebenbürtige Armeen in der islamischen Welt sollen schnell vergessen werden, indem man neue Feinde und Bedrohungen identifizierte: Russland und China bedrohen den Westen, die westlichen Werte und die westliche Lebensart, so der Vorwurf.

Mit der Schaffung neuer Bündnisse wie Aukus und Quad sowie dem Demokratiegipfel wollen die USA den Autokratien in der Welt die Stirn bieten und unter ihrer Führung dem Westen eine neue Orientierung geben. Der Kampf für die Demokratie soll neuen Aufbruch bringen. Unter ihrer Freiheitsfahne soll die Welt vor den Autokratien gerettet werden. Die Schlachtfelder für die große Entscheidungsschlacht zwischen den Guten und den Bösen scheinen bereits abgesteckt: die Ukraine und Taiwan.

Wenn auch der Westen seine Niederlage im Krieg gegen den Terror nicht wahrhaben will und in der Sahelzone vor der nächsten zu stehen scheint, so haben Russland und China diese Schwäche offensichtlich erkannt. Ist es Zufall, dass Russland gerade nun sehr weitgehende Forderungen bezüglich seiner Sicherheitsinteressen stellt? Oder erkennen Russland und China die Gunst der Stunde? Nutzen sie die westliche Schwäche zum Gegenschlag?

Russland begnügt sich nicht mit der defensiven Forderung nach Wahrung des militärischen Gleichgewichts. Es begnügt sich nicht mit der Forderung nach Reduzierung der militärischen Droh- und Gefahrenpotenziale auf beiden Seiten. Es fordert mehr. Es verlangt die Rückkehr auf die Kräfteverhältnisse des Jahres 1997, also vor den ersten NATO-Osterweiterungen. Der Westen hat im Monopoly des militärischen Kräftemessens die Karte gezogen, die da lautet: zurück auf Los.

Weiterhin aber bleibt unklar, wie Russland diese Forderung verwirklichen will. Denn Putin hat immer wieder betont, dass Russland keinen Krieg will. Andererseits aber dürfte sich die russische Führung des Gewichts dieser Forderung bewusst sein, denn Putin ist nicht naiv. Mit Sicherheit ist man sich im Kreml darüber im Klaren, dass man mit der Forderung nach Rückkehr auf die Verhältnisse von 1997 an den Grundfesten der NATO rüttelt. Wenn das Militärbündnis in dieser Frage nachgibt, stellt es sich in seiner Gesamtheit in Frage.

Ist diese Forderung als langfristiges Ziel auf der Grundlage der sich verändernden Kräfteverhältnisse in der Welt zu verstehen? Oder handelt es sich vielmehr um ein Ziel, das in Angriff genommen werden soll, sobald die aktuellen Verhandlungsrunden nicht zu Ergebnissen führen, die den russischen Sicherheitsinteressen gerecht werden? Das ist nicht klar, und Russland gibt im Moment auch keine Hinweise darauf, wie es weiter mit USA und NATO verfahren will.

Die Nachteile des Westens

Russlands Vorteil liegt in der Schwäche des Westens. Ein Grund dafür ist in dessen zunehmender Isolation in der Welt zu sehen. Andererseits bestehen aber auch Konflikte unter den Bündnisstaaten selbst, deren unterschiedliche nationale Interessen die Rivalität zwischen ihnen fördern.

So fällt auf, dass innerhalb der NATO die anglo-amerikanische Seite in erster Linie auf die Verschärfung der Konfrontation mit Russland setzt. Die ständigen neuen Ankündigungen russischer Invasionspläne, die Abberufung von Botschaftspersonal, Reisewarnungen und die gleichzeitige Aufstockung von Truppen und militärischem Material in den Nachbarstaaten heizen den Konflikt immer weiter an, statt ihn zu beruhigen.

Damit hintertreiben die USA und Großbritannien die Bemühungen von Staaten wie Frankreich und Deutschland, die stärker auf Verhandlungen setzen und im Falle Frankreichs sogar ein gewisses Verständnis für Russlands Sicherheitsinteressen erkennen lassen. Deutschland versucht mal wieder, es allen recht zu machen und den neutralen Moderator zwischen den Amerikanern, den Franzosen, den Balten und auch den Ukrainern zu geben.

Nicht zu überhören war Kritik an Macron, dem von westlichen Medien der Vorwurf gemacht wurde, sich zum Führer Europas aufspielen zu wollen, wie es der Londoner Telegraph auf den Punkt brachte. Das schien nationale Gefühle zu verletzen. So war denn seine Reise zu Putin vom Misstrauen so mancher Partner begleitet. Noch deutlicher waren dann Häme und Schadenfreude zu erkennen, als er ohne erkennbaren Erfolg aus Moskau zurückkehrte.

Man zieht nicht an einem Strang in der NATO und Europa aus Angst, dass einer der Partner Vorteile gegenüber den anderen für sich verbuchen könnte. Diese Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen, denn Macron bemühte sich in der Ukraine nicht nur um die Entspannung der Lage, sondern auch um Aufträge für die französische Wirtschaft. Mit einem Auftrag über 130 E-Loks und den entsprechenden Wartungsverträgen für den französischen Zughersteller Alstom kehrte er aus Kiew zurück.

Die Missgunst auf der nationalen Ebene geht einher mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen dieser Gruppen innerhalb der NATO, und dementsprechend verschieden sind auch die Vorstellungen über den Umgang mit Russland. So sind neben den nationalen Wirtschaftsunternehmen besonders italienische, französische und osteuropäische Banken in Russland und der Ukraine stark investiert.

“In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 stieg das [italienische] Handelsvolumen gegenüber dem Vorjahr um 44 Prozent auf knapp 22 Milliarden Euro”, schrieb die FAZ am 11. Februar. Banken und Unternehmen fürchten um ihre Investitionen, wenn sich das Rating von Ukraine oder Russland an den Finanzmärkten verschlechtert und erst recht, wenn es zwischen beiden zum Krieg kommt.

Dabei ist Italien noch nicht einmal so stark mit der russischen Wirtschaft verwoben wie die deutsche. Über 3.500 deutsche Unternehmen sind in Russland gelistet, und vor der Verhängung der Sanktionen wegen der Krim waren es fast doppelt so viele. So hoffen denn die Vertreter der deutschen Industrie in Russland “auf eine Verhandlungslösung und schnelle Beruhigung der Lage”, denn das Land ist “wegen der Konsumfreude der Bevölkerung ein lukrativer Markt für unsere Unternehmen”.

Den USA jedoch, deren Wirtschaft in Russland nicht so bedeutend ist wie die europäische, ist an der Beseitigung der russischen Konkurrenz auf dem europäischen Gasmarkt gelegen. Eine Verschärfung des Konfliktes zwischen den Europäern und Russland ist also durchaus im Interesse der USA, um Nord Stream 2 mit allen Mitteln zu verhindern und damit den eigenen Anteil am europäischen Gasmarkt auf Kosten Russlands zu vergrößern.

Das deutsche Wesen

Neben diesen nationalen und wirtschaftlichen Interessen liegt ein weiterer Grund für die Schwäche der NATO und des Westens auf der gesellschaftlichen Ebene. Hier verlaufen die Reibungen staatsübergreifend zwischen den wirtschaftlichen Interessen der westlichen Unternehmen und dem ideologisch-idealistischen Wertekreuzzug der intellektuellen Führungseliten, bestehend aus Politikern, Meinungsmachern und sogenannten Experten.

Diese Werteorientierung des eigenen gesellschaftlichen Führungspersonals ist weiten Teilen der Wirtschaft ein Dorn im Auge. Denn die Wertekreuzzüge gegen Russland, China und manche andere Staaten in der Welt behindern die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen. Wenn auch dieser Konflikt zwischen der Wirtschaft und den von Idealismus getriebenen intellektuellen Führungen der meisten westlichen Staaten nicht offen ausgetragen wird, so behindert er dennoch die meisten westlichen Unternehmen in ihren Ertragsaussichten.

Darin besteht einer der wesentlichen Konkurrenzvorteile der chinesischen Unternehmen gegenüber den westlichen. Erstere haben die volle Unterstützung ihrer Regierung, weil die Chinesen sich nicht als Werte-Missionare in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen und diesen die eigenen Wertvorstellungen aufdrängen wollen. Europäische Unternehmen dagegen müssen sich gegen den Willen der eigenen Regierungen und gegen die Stimmung in der Öffentlichkeit mehr oder weniger diskret mit Putin und Vertretern der russischen Wirtschaft treffen.

So entwickelt sich die Werteorientierung im Westen nicht nur zum Schaden der eigenen Wirtschaft, sondern darüber hinaus angesichts der Zuspitzung der Konflikte auch zu einer Bedrohung der eigenen Bevölkerung. Mittlerweile sitzt mit den Grünen gar die Speerspitze der deutschen Werte-Ideologie in der deutschen Regierung. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt mal wieder am deutschen Wesen genesen zu lassen.

Dieses Mal erscheint das deutsche Wesen im Gewand der westlichen Werte. Und da scheint man auch schon mal einen Krieg im Interesse der Menschenrechte in Kauf zu nehmen, wie man in Jugoslawien erkennen konnte.

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