Rückblick und Ausblick — RT Deutsch
Vor wenigen Tagen kamen bei einem syrischen Luftangriff in der syrischen Provinz Idlib Dutzende türkische Soldaten ums Leben. Die Türken feuerten wutentbrannt zurück. Doch jeder, der den Konflikt verfolgt, weiß, dass die Eskalation nicht über Nacht kam.
Wer kämpft in Idlib?
Die meisten Kämpfer, die als Mitglieder von Terrormilizen in Idlib aktuell ihr Unwesen treiben, kamen von anderswo. Einige sind ausländische Söldner. Sie reisten nach Syrien, um sich verschiedenen Dschihad-Gruppierungen anzuschließen, die von Ländern wie Katar oder Saudi-Arabien finanziert wurden. Nachdem die russische Militärintervention das Blatt wendete und der Krieg zunehmend zugunsten von Damaskus verlief, konnten oder wollten sie das Land nicht mehr verlassen. Andere sind Syrer, die in befreiten Brennpunkten wie Aleppo oder Duma zu regierungsfeindlichen Kräften gehörten und über Evakuierungskorridore nach Idlib gebracht wurden.
Die Türkei, die Teile der Regierungsgegner unterstützte, übt Einfluss auf einige der bewaffneten Gruppen in Idlib aus. Andere wiederum werden von Ankara als Terroristen betrachtet und bezeichnet. Wie etwa Hai‘at Tahrir al-Sham (HTS), die große Dschihad-Fraktion in Syrien, die sich früher der Al-Qaida verpflichtet hatte. In Wirklichkeit jedoch kämpfen die Terroristen gelegentlich Seite an Seite mit von der Türkei unterstützten Gruppen gegen die vorrückenden syrischen Streitkräfte und ihre Verbündeten.
Was im Sotschi-Waffenstillstandsabkommen von 2018 steht
Im Sotschi-Abkommen vom September 2018 legten die Türkei und Russland einen verbindlichen Plan zur Deeskalation der Gewalt in Idlib fest. Es wurde eine entmilitarisierte Zone innerhalb des von den Milizen kontrollierten Gebiets vereinbart. Terroristische Gruppen, darunter auch HTS, sollten diese Pufferzone vollständig verlassen. Die sogenannten “gemäßigten Rebellen” sollten lediglich ihre schweren Waffen aus diesem Gebiet abziehen.
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Damaskus erklärte sich bereit, seine geplante Offensive in Idlib auszusetzen. Im Gegenzug sollte Ankara seinen Einfluss auf die Gruppierungen in der syrischen Provinz nutzen. Zuerst sollten die Unabhängigeren von ihnen zur Einhaltung eines Waffenstillstands bewegt und schließlich eine dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten herbeigeführt werden.
Zu diesem Zwecke richtete die Türkei eine Kette von Beobachtungsposten ein, um die Lage vor Ort zu überwachen. Gruppierungen, die den Plan ablehnen und weiterhin Gewalt anwenden, wären weiterhin ein legitimes Ziel für das syrische Militär.
Abkommen vs. Realität
Doch das Abkommen hat nie so funktioniert wie beabsichtigt. Beide Seiten werfen sich stets gegenseitig vor, das Abkommen zu verletzen. Nicht zuletzt war Russland auch deswegen unzufrieden mit dem Verlauf der Dinge, weil die Milizen von Idlib aus regelmäßig Drohnenangriffe auf den russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in Latakia flogen.
Schlimmer noch: Anstatt sich zurückzuziehen, ging die radikale dschihaddistische Fraktion in Idlib tatsächlich in die Offensive. Dabei gewann die HTS die Dominanz über die anderen Gruppierungen und eroberte einen Großteil der Provinz. Da ein Ende der terroristischen Angriffe nicht abzusehen war, nahm die syrische Armee die ausgesetzte Offensive im April 2019 wieder auf. Man begann mit der Einnahme von Dörfern und Städten im Süden von Idlib. Zusätzlich zu den sicherheitspolitischen Überlegungen seitens Damaskus gab es eine strategische: Saraqib ist eine Stadt östlich der Provinzhauptstadt Idlib. Sie liegt an einer Autobahn, die Aleppo im Norden mit Hama, Homs und Damaskus im Süden Syriens verbindet. Diesen Monat fanden dort heftige Kämpfe statt.
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Die Vorstöße der syrischen Armee verunsicherten Ankara, da sich hierdurch die Machtverhältnisse in der Region verschoben. Zudem zeichnete sich eine mögliche Überraschungsoffensive gegen Idlib ab. Die Gesamtlage brachte türkische und syrische Truppen in unmittelbarer Nähe zueinander, was das Risiko direkter Zusammenstöße erhöhte. Ausgerechnet ein solches Szenario versuchte die Türkei jedoch zu vermeiden, als sie das Abkommen mit Russland im Jahr 2018 unterzeichnete.
Die Türkei erlitt im August vergangenen Jahres ihren ersten bedeutenden Truppenverlust in Idlib, als einer ihrer Konvois von einem syrischen Luftangriff getroffen wurde. Damaskus wiederum warf den türkischen Truppen vor, Dschihaddisten mit Waffen und Munition zu versorgen. Weitere ähnliche Vorfälle folgten. Der letzte und schwerste Vorfall ereignete sich am Donnerstag, dem 27. Februar 2020. Dabei wurden 33 türkische Soldaten getötet und Dutzende weitere verletzt. Ankara reagierte mit dem Beschuss syrischer Armeestellungen in Idlib.
Moskau erklärte, dass die russische Luftwaffe an dem tödlichen Angriff nicht teilgenommen habe. Man deutete aber an, dass die Verluste der türkischen Truppen viel schlimmer hätten sein können, wenn man nicht eingegriffen hätte, um das syrische Militär von einer Fortsetzung der Angriffe abzuhalten.
Unmittelbar nach Erhalt der Informationen über die Opfer unter den türkischen Truppen hat die russische Seite umfassende Maßnahmen für eine vollständige Einstellung der Kampfhandlungen durch die syrischen Streitkräfte ergriffen.
Fast noch wichtiger an der Erklärung des russischen Militärs ist jedoch etwas anderes: Der Luftangriff der syrischen Luftwaffe galt ausdrücklich nicht den türkischen Soldaten, sondern sollte eine Offensive der radikalislamistischen Terrormiliz Hai’at Tahrir al-Sham verhindern. Die türkischen Soldaten hätten gemäß Informationen, die die türkischen Streitkräfte gemäß Absprache mit den russischen Kollegen teilten, gar nicht am Zielort dieses Angriffs sein dürfen:
In den vergangenen 24 Stunden haben Vertreter des russischen Zentrums für Versöhnung der Konfliktparteien in Syrien von ihren türkischen Partnern ständig die Standortkoordinaten aller Einheiten der türkischen Streitkräfte im Kampfgebiet angefordert und bestätigen lassen, sofern sich diese in der Nähe der Operationsgebiete der Terroristen befinden.
Risiko der Eskalation
Die Verluste vom Donnerstag markieren jedoch nur die jüngsten türkischen Opfer in Syrien. Ankara führte in den vergangenen Jahren mehrere Militäroperationen durch, bei denen nach offiziellen Angaben Dutzende türkischer Soldaten getötet wurden. Doch während die türkische Armee zuvor – zumindest offiziell – nur gegen kurdische Milizen und den Islamischen Staat kämpfte, hat der tödliche Luftangriff die Kräfte Ankaras direkt gegen Damaskus aufgebracht. Dies veranlasste den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu der Forderung, dass Damaskus seine gesamten Truppen aus Idlib bis Ende Februar zurückziehen müsse. Anderenfalls werde die türkische Armee sie von dort vertreiben. Türkische Politiker, ebenso wie Erdoğans Berater, erklärten, dass die syrischen Streitkräfte vom türkischen Militär nun als legitime Ziele betrachtet würden.
Das türkische Militär meint es ernst. Am Sonntag schoss die türkische Luftwaffe zwei syrische Bodenkampfflugzeuge des Typs Suchoi Su-24 ab, die Angriffe auf Terroristen in Idlib flogen. Die Piloten konnten laut der syrischen Nachrichtenagentur SANA sicher mit Fallschirmen landen. Die vom russischen Versöhnungszentrum durchgesetzte Feuerpause seitens der Syrer nutzten die Türken, um am Wochenende einen Drohnenkrieg zu entfesseln. Nicht gegen die Terroristen, wohlgemerkt, sondern gegen die Syrische Arabische Armee.
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Aber Damaskus scheint weder angesichts der Drohungen noch infolge der bereits erlittenen Verluste bereit zu sein, klein beizugeben. Noch zuvor schoss die syrische Luftabwehr mehrere Drohnen des Typs ANKA-S aus türkischer Herstellung ab. Am selben Tag, nachdem die beiden syrischen Su-24 von der Türkei abgeschossen wurden, erklärte Syrien den Luftraum über Idlib zur Flugverbotszone für alle ausländischen Flugzeuge. Die Offensive der Syrischen Arabischen Armee gegen Terrormilizen in Idlib wird mit mindestens derselben Intensität fortgesetzt.
Belastete Beziehungen
Der Konflikt belastet auch die Beziehungen der Türkei zu Russland schwer. Diese bewegen sich gefährlich auf einen neuen Tiefpunkt seit der Krise von 2015 zu. Damals war ein russisches Bodenkampfflugzeugs von einem türkischen Jagdflugzeug an der syrisch-türkischen Grenze abgeschossen worden. Mehrere Gesprächsrunden zwischen den beiden Ländern haben bisher keine Lösung der Situation gebracht, die von Stunde zu Stunde brisanter zu werden scheint.
Eine weitere Beziehung, die durch die jüngsten Entwicklungen belastet werden könnte, ist ausgerechnet die zwischen Russland und Syrien. Die Bemühungen Russlands um eine möglichst rasche Feuerpause des syrischen Militärs direkt nach dem Vorfall, bei dem 33 türkische Soldaten ums Leben kamen, werden als ein Fehler betrachtet. Dieser habe das syrische Militär infolge des am darauffolgenden Wochenende durch die Türkei entfesselten Drohnenkriegs Menschenleben und Militärgerät gekostet. Die einseitig verhängte Feuerpause habe Syrien keine Möglichkeit gelassen, rechtzeitig ihre Kurzstrecken-Luftabwehr zum Schutz ihrer Bodentruppen zu disponieren. Einen solchen Standpunkt vertritt zum Beispiel Elijah J. Magnier, ein Kriegsberichterstatter und militärischer sowie politischer Analyst mit 35 Jahren Erfahrung. In seinem Artikel verweist er auf entsprechende Aussagen hochrangiger syrischer Offiziere.
Erdoğan – militärisch ausmanövriert, als Partner diskreditiert, als Unterstützer von Terroristen entlarvt
Doch auch wenn diese überstürzten Bemühungen Russlands um eine Feuerpause aus militärischer Sicht als Fehler interpretiert werden könnten, würde man zu kurz greifen, wenn man die Analyse damit kommentarlos abschlösse. Korrekterweise müsste man die Überlegung hinzufügen, dass Russland sich nur deswegen derart verschätzen konnte, weil man Erdoğan für eine derartige Eskalation für zu weit- und umsichtig hielt. Denn hier scheinen gerade Erdoğan und das türkische Militär diejenigen zu sein, die komplette strategische Kurzsichtigkeit bewiesen haben.
Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass die Erklärung des Luftraums über Idlib zur Flugverbotszone durch das syrische Militär kaum in der nächsten Zeit aufgehoben werden dürfte. Mehr noch: Im selben Zusammenhang kann auch Russland die Unversehrtheit türkischer Maschinen über syrischem Boden nicht garantieren. Dies teilte am Sonntag der Leiter des russischen Zentrums für Versöhnung der Konfliktparteien in Syrien, Konteradmiral Oleg Schurawljow, mit.
Und dies betrifft nicht nur türkische Militärflugzeuge, sondern ebenso Militärmaschinen der NATO-Bündnispartner der Türkei. So zum Beispiel Flugzeuge der Europäer, die Erdoğan mit seiner jüngsten Androhung einer Flüchtlingswelle nach Europa zur Unterstützung seines Eroberungskrieges im syrischen Idlib zu bewegen versucht. Russische und syrische Kampfflugzeuge und Hubschrauber werden dort weiterhin Einsätze gegen Terroristen fliegen können. Sie werden dem syrischen Militär weiterhin eine Lufthoheit sichern, die allenfalls durch schulterabgefeuerte Luftabwehr-Lenkraketen und automatische FlAKs in den Händen von Terroristen in Idlib eingeschränkt werden kann.
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Indes gibt es nicht viel, was zum Beispiel US-Präsident Donald Trump Erdoğan an direkter Hilfe anbieten kann. Abgesehen von Aufklärungsdaten und “humanitärer Hilfe”, meldet die Nachrichtenagentur Middle East Eye mit Verweis auf anonyme Quellen. Diese Information soll Trump seinem türkischen Amtskollegen bei einem Telefonat mitgeteilt haben. Ebenso zögere der Agentur zufolge das Pentagon seinerseits, Erdoğan mit seinem Hilfeersuchen entgegenzukommen. Man würde die Bitte wohl aus Unwillen ablehnen, “den Dritten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, nur um das von der Türkei verursachte Chaos wieder aufzuräumen”. Ähnliches berichtet auch Politico.
Bereits jetzt ist so gut wie garantiert, dass Luftunterstützung für die türkische Armee in Idlib seitens der USA ausbleiben wird. Von Journalisten am Montag mit der entsprechenden Frage konfrontiert, antwortete US-Verteidigungsminister Mark Esper klipp und klar: “Nein”.
Trump soll Erdoğan gegenüber lediglich die Absicht geäußert haben, auf die anderen Bündnispartner in der NATO dahingehend einwirken zu wollen, dass diese ihre Luftabwehrraketensysteme des Typs Patriot in ausreichende Nähe zum umkämpften Gebiet abkommandieren. Damit könnten diese die syrischen und russischen Flugzeuge und Hubschrauber auf dem Boden halten. Doch wenn auch die NATO-Staaten in Europa durchaus in der Lage sind, der Türkei ihre Luftabwehreinheiten mit diesen Systemen zur Verfügung zu stellen, bestehen ernst zu nehmende Zweifel daran, dass sie dies auch tun werden.
So könnte ausgerechnet Erdoğans Versuch, mit dem Durchwinken syrischer Flüchtlinge an die Grenzen der EU von deren Mitgliedsstaaten Hilfeleistung zu erpressen, das genaue Gegenteil erwirken, schreibt Middle East Eye. Vor allem könnte das NATO-Mitglied Griechenland, das aufgrund der türkischen Grenzöffnung aktuell mit einer wahren Flut von Flüchtlingen an seinen eigenen Grenzen konfrontiert ist, jegliche offizielle Hilfe des Atlantikbündnisses an die Türkei von vornherein blockieren. In der Tat blockierten die Griechen am vergangenen Freitag bereits eine gemeinsame NATO-Erklärung zur Unterstützung der Türkei bei deren Vorgehen in Idlib. Exakt im Zusammenhang mit dem erwähnten Flüchtlingsproblem, wie das griechische Nachrichtenportal Greek Reporter berichtet.
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Doch selbst wenn es zu einer Verlegung von Patriot-Batterien der europäischen NATO-Länder in die Nähe Idlibs käme, wäre ihre Effizienz eher zweifelhaft. Hierauf verweisen sowohl die technischen Daten des Systems als auch dessen Versagen in der realen Welt, die saudischen Raffinerien vor Sprengdrohnen der jemenitischen Huthi-Rebellen im vergangenen Jahr zu schützen.
Letztendlich kann man davon ausgehen, dass die Türkei ihre Flugabwehrsysteme des Typs S-400 gegen die russische und syrische Luftwaffe in Idlib nicht einsetzen kann. Allein schon aus dem Grund, dass deren Aktivierung doch erst für den April dieses Jahres geplant war, erinnertahvalnews.
Damit hat sich Erdoğan militärisch selbst ins Aus manövriert. Die Lufthoheit Syriens und Russlands über Idlib verhindert, dass die türkische Armee ihre Überlegenheit gegenüber den syrischen Bodentruppen ausspielen kann. Diese Lufthoheit soll künftig mit Patrouillen durch Jagdmaschinen nicht nur der syrischen Luftwaffe, sondern auch der russischen Luft- und Weltraumkräfte über Idlib gesichert werden.
Dies meldete die russische Zeitung Wedomosti am 20. Februar mit Verweis auf anonyme Quellen mit Nähe zum russischen Militär. Erdoğans einzige Möglichkeit einer fortschreitenden Eskalation wäre die Verlegung weiterer, deutlich größerer Kontingente der türkischen Armee nach Idlib, denn Terrormilizen, die momentan die Hauptlast von Erdoğans Eroberungskrieges tragen, würden unter aktuellen Bedingungen relativ schnell von den geeinten Kräften Syriens und Russlands zermalmt werden. Eine Eskalation dieser Art wäre aber für Erdoğan allein schon innenpolitisch völlig untragbar, weil sie unweigerlich zu großen Verlusten der türkischen Armee führen würde.
Ebenfalls am 20. Februar warf das russische Verteidigungsministerium der türkischen Armee offiziell vor, Terrormilizen in Idlib unmittelbar unter anderem durch Artilleriefeuer zu unterstützen – und das nicht zum ersten Mal. Eine ernsthafte Anschuldigung. Der am vergangenen Wochenende erfolgte massive Einsatz von Kampfdrohnen gegen das syrische Militär in Idlib ist demnach nicht anders zu werten als ein Vergeltungsschlag für tote türkische Soldaten. Auch wenn diese sich, aus russischer und syrischer Sicht, heimlich inmitten ebenjener Terroristen befanden. Damit ist dieser Einsatz Erdoğans gleichzeitig sein persönlich unterzeichnetes Bekennerschreiben zum Vorwurf der Terrorunterstützung. Ausgestellt an die gesamte Völkergemeinschaft. Das ist ein anderes Kaliber, als IS-Terroristen bloß Erdöl abzukaufen.
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Damit gibt Erdoğan jedem Staat der Welt ein Legitimationsmittel für alle möglichen Aktionen zum Nachteil der Türkei an die Hand. Angefangen mit Belehrungen und Ächtung auf internationalen Plattformen, über wirtschaftliche Sanktionen bis hin zu militärischen Einsätzen. Russland zum Beispiel hat mindestens zwei Möglichkeiten, wirtschaftlichen Druck auf die Türkei auszuüben: Baustopp des ersten türkischen Atomkraftwerks Akkuyu, das aktuell von der Rosatom-Tochter Atomstroiexport gebaut wird, sowie ein Aussetzen von Erdgaslieferungen über die Pipeline Turkstream.
Vor allem Letzteres wäre für Erdoğan auch innenpolitisch mit sofortiger Wirkung verheerend. Es ist noch nicht abzusehen, welches Land als erstes ernsthaften Gebrauch von diesem Legitimationsmittel machen wird und wofür, doch eines ist schon jetzt glasklar: Unter diesen Bedingungen wird Griechenland ein leichtes Spiel haben, mögliche militärische Hilfsaktionen anderer NATO-Staaten für die Türkei in Idlib auch weiterhin zu blockieren.
Als wäre dies nicht genug: Mit der Unterstützung des Terrors geht jede Illusion verloren (falls jemand sich ihr immer noch hingeben sollte), dass Erdoğan im Jahr 2018 das Sotschi-Abkommen zu einem anderen Zwecke schloss, als es zu brechen. In Verbindung mit der schier maßlosen Dummdreistigkeit, die die Türkei bei ihren Forderungen in Bezug auf Idlib an den Tag legt, diskreditiert dies die Türkei unter Erdoğan als hinterlistigen und daher absolut unverlässlichen Partner in der internationalen Arena. Völlig unabhängig davon, um welchen Bereich der Kooperation oder Absprache es geht.
Als weiteres Beispiel für bereits eintretende Folgen dieses Vorgehens der Türkei unter Erdoğan diene hier das gemeinsame Memorandum Syriens und der Libysch-Nationalen Armee unter General Haftar. Dieses sieht vor, dass man gemeinsame Handlungen angesichts von Konfrontationen mit dem türkischen Militär und Söldnern, sowohl in Syrien als auch in Libyen, kontinuierlich koordiniert.
Erdoğans Ausweg: Verträge sind einzuhalten
Man kann nicht vorhersagen, wie schnell Erdoğan all dies verstehen wird. Zumal er es bisher nicht verstanden zu haben scheint. Doch ein möglicher Weg aus dieser aussichtslosen Lage, der ihm nach wie vor offensteht, wurde bereits im Vorfeld seines Treffens mit Wladimir Putin, dem Präsidenten der Russischen Föderation, am 05. März aufgezeigt. Die russische Nachrichtenagentur RIAFANzitiert Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Dieser kündigte an, dass Moskau “weiterhin dem Sotschi-Abkommen verbunden” bleibt. Von der Türkei ist jetzt also gefordert, ihren Teil der Verpflichtungen aus dem Abkommen umzusetzen. Vielleicht kann die Türkei auf diese Weise ihren Rufschaden in der Völkergemeinschaft kleinhalten, Erdoğan innenpolitische Schäden begrenzen und eine innenpolitische Destabilisierung der Türkei abwenden.
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